Kritik an Region Hannover wegen Abschiebung nach sechsjährigem Aufenthalt

Mit scharfer Kritik hat der Flüchtlingsrat Niedersachsen auf die Inhaftierung und gestrige Abschiebung des Pakistaners A. durch die Region Hannover reagiert.

Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen

„Herr A. lebt seit 2015 bei uns. Den Behörden war bekannt, dass Herr A. seit einem Jahr in einem Restaurant arbeitet und seinen Lebensunterhalt selbst verdient. Herr A. war auch schon davor berufstätig, allerdings hat die Region Hannover ihm zeitweise verboten, zu arbeiten. Wir fordern die Landesregierung auf, per Erlass dafür zu sorgen, dass Menschen mit mehr als fünfjährigem Aufenthalt nicht mehr aus Niedersachsen abgeschoben werden dürfen.“

Herr A. ist im Jahr 2015 nach Deutschland geflohen. Im Januar 2020 hat Herr A. der Ausländerbehörde eine pakistanische ID-Card vorgelegt, auf deren Grundlage die Behörden die Passerbeschaffung eingeleitet haben, um ihn abzuschieben. Ein im Mai 2021 von Herrn A. gestellter Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsduldung wurde nie beschieden. Am 29.11.21 erhob A. daraufhin eine Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht, die allerdings keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Am 05.01.21 wurde Herr A. auf Antrag der Region Hannover vom Amtsgericht Hannover in Abschiebungshaft genommen. Aus Sicht des Flüchtlingsrats wurde Herr A. durch seine Inhaftierung und anschließende Abschiebung nun dafür bestraft, rechtskonform gehandelt und bei der Indentitätsklärung mitgewirkt zu haben.

Der Koalitionsvereinbarung der neuen Bundesregierung verspricht Menschen ein „Chancen-Bleiberecht“, wenn sie am 01.01.2022 fünf Jahre im Bundesgebiet aufhältig waren. Das Innenministerium von Rheinland-Pfalz hat den Ausländerbehörden unter Bezugnahme auf dieses – noch nicht gesetzgeberisch umgesetzte – Vorhaben mit Erlass vom 23.12.2021 nahegelegt, Abschiebungen des fraglichen Personenkreises im Hinblick auf das anstehende Gesetzgebungsverfahren „zurückzupriorisieren“, sprich auszusetzen. Der Flüchtlingsrat fordert die Landesregierung auf, diesem Beispiel zu folgen.

Hintergrund

Nachfolgend Infos zur Sammelabschiebung nach Pakistan am 12.01.22 aus Frankfurt am Main von der Aktivistin SAMAR KHAN, Pakistanische Community, HUM HAIN PAKISTAN, Darmstadt – Hessen:

In der heutigen Sammelabschiebung nach Islamabad wurden etwa 45 Pakistanis abgeschoben. Der Flieger startete mit Verspätung um 6h von Frankfurt aus. Wieder waren viele Integrierte im Flieger. Alle hatten positiv in die Zukunft vor allem auf den Koalitionsvertrag gehofft und geblickt. Unseren Verein haben seit letzter Woche viele Anrufe erreicht, vor allem aber wurden die Meisten Pakistanis am gestrigen Dienstag aufgegriffen. Wieder eine bundesweite Abschiebung, aber überwiegend aus Baden Württemberg. Beteiligt waren Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland- Pfalz.

Einer der Abgeschobenen ist Sufyan aus dem Enzkreis. Am 06.01.22 wurde für ihn ein Härtefallantrag gestellt. Im September 2021 hatte er den Antrag auf 25b gestellt und am 08.01.2022 die letzten erforderlichen Unterlagen, wie zB. seinen erfolgreich bestandenen Einbürgerungstest persönlich bei seiner Ausländerbehörde eingeworfen. Sufyan hatte alle Voraussetzungen für einen Aufenthalt erfüllt. Am 11.01.22 um 19h15 wurde er in seinem Betrieb aufgegriffen.

Ein weiterer Abgeschobener berichtete heute, dass er ohne ID Karte oder Pass in Pakistan in keinem Hotel einchecken kann, und dass Deutschland seine Dokumente behalten hat. Er hat niemanden in Pakistan. Vielen Abgeschobenen bereitet es Schwierigkeiten und Probleme, von heute auf morgen aus ihren gewohnten Lebensumfeld gerissen zu werden – nach so vielen mühevollen Jahren in Deutschland.

In der Abschiebehaft Ingelheim befindet sich noch Abdul B. aus Rheinland Pfalz, der seit seiner Festnahme am letzten Donnerstag positiv auf Corona getestet und immer noch in Haft ist statt in häuslicher Genesung! Abdul arbeitet in einer Security Firma und wurde bei der Duldungsverlängerung bei der Ausländerbehörde aufgegriffen.

Von einem weiteren wissen wir, dass er aus der Haft entlassen wurde auf Grund von Operationen.

Uns haben einige auch kontaktiert, die nicht zu Hause waren und somit nicht abgeschoben worden sind. Die Angst unter den Pakistanis ist groß. Pakistan ist die Gruppe, auf der der größte Fokus momentan liegt. Auch bei der letzten Abschiebung im Dezember waren viele Integrierte mit B1 Zertifikat und Einbürgerungstest abgeschoben worden.

Wir sind entsetzt. Aktuell sitzt in der Abschiebehaft HOF ein homosexueller Pakistani. An unserer Seite stehen gute Anwälte, die auch zu Spätstunden für uns erreichbar sind. Auf diesem Wege möchten wir uns auch bei RA ZUBAIR Khan aus Dortmund und RA ZAFER Özkan aus Offenbach für ihren menschlichen Einsatz bedanken.

Leider aber machen die Abschiebemaßnahmen es immer schwieriger, zu unmöglichen und knappen Zeiten noch irgendwie was erreichen zu können, da weder Richter, das RP oder das Ministerium erreichbar sind …  das macht uns wütend.

Für 2022 hoffen wir auf schnelle und bessere Bleiberechte für alle Schützlinge dieser Welt, und dass unser Netzwerk sich weiter erweitert und es mit Euch weiterhin zusammen schafft, bessere Bleibeperspektiven für Schutzsuchende zu ermöglichen.

Bleibt alle gesund und mögen Eure Wünsche in Erfüllung gehen.

(Quelle: Pressemitteilung Flüchtlingsrat Niedersachsen vom 13. Januar 2022)

Keine Knäste – keine Flüge! Demo gegen die Normalität von Abschiebehaft und Abschiebungen!!!

Am 8. Dezember 2000 hat sich der 17-jährige Arumugasamy Subramaniam im Abschiebegefängnis Hannover-Langenhagen das Leben genommen. Erst wenige Monate zuvor, im Mai 2000 wurde die JVA als Niedersachsens zentrales Abschiebegefängnis in Betrieb genommen. Direkt am Flughafen kann der Ort symbolträchtiger nicht sein. Hier werden Menschen aus Niedersachsen und in Amtshilfe auch aus anderen Bundesländern inhaftiert, um ihre Abschiebung durchzusetzen.

Das Bündnis „Gemeinsam in die Offensive“ nimmt den 21. Jahrestag des Todes von Arumugasamy Subramaniam zum Anlass, an die Opfer der unmenschlichen Abschiebemaschinerie zu erinnern und die Beendigung von Abschiebehaft zu fordern. Wir protestieren gegen die Ungerechtigkeit und Unmenschlichkeit von Abschiebungen.

Wir wollen deutlich machen, dass wir uns gegen die deutsche und europäische Politik der Abschottung, Ausgrenzung und Entrechtung stellen und für eine solidarische Gesellschaft kämpfen, in der das Recht auf Bewegungsfreiheit weltweit gilt.

Keine Knäste, keine Flüge!

Gegen die Normalität von Abschiebehaft und Abschiebungen!

Kommt zur Demonstration am Sa., 11.12.2020, um 14.00 Uhr

Ort: Opernplatz, Hannover

Abschiebungshaft in Deutschland

Statistik Rechtsanwalt Peter Fahlbusch, Hannover

[Stand 9.5.2020] „Seit 2001 habe ich bundesweit 1.982 MandantInnen in Abschiebungshaftverfahren vertreten. 982 dieser MandantInnen (d. h, 49,5 %) wurden nach den hier vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche „nur“ einen Tag, andere monatelang). Zusammen gezählt kommen auf die 982 MandantInnen sechsundzwanzigtausendeinhundertundneun (in Zahlen 26.109!!!) rechtswidrige Hafttage, das sind rund 71 Jahre rechtswidrige Inhaftierungen. Im Durchschnitt befand sich jede/r Mandant/in knapp 4 Wochen (genau: 26,6 Tage) zu Unrecht in Haft. Rund 150 Verfahren laufen z.Zt. noch.“

Statistik des Bundesgerichtshofes (5. Zivilsenat)

Seit 2015 Beschäftigung mit 301 Abschiebungshaftfällen; in rund 13 Prozent [wohl 40 Fällen] Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Landgericht; in 99 Fällen Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und endgültige Entscheidung des BGH [= 33 Prozent]. (Quelle: Süddeutsche Zeitung, 28.1.2019: Auch Abgelehnte haben Rechte).

Abschiebungshafteinrichtungen 2020

BundeslandOrtKapazität (Plätze) Weitere Plätze (Plan)Tatsächlich Inhaftierte Ende Mai 2020Ehemalige/Aktuelle Justizvollzugsanstalt
  InsgesamtDavon Frauen      
Baden-WürttembergPforzheim360805ehemalige JVA
BayernEichstätt9610 10ehemalige JVA
 Erding240 unbek.ehemalige JVA
 München (Flughafen)30020 Abschiebungshaft; 29 Transitunterkunftunbek.nein
BerlinBerlin-Lichtenrade (für „Gefährder“)8-100 0ehem. Jugendarrestanstalt
BrandenburgFlughafen Schönefeld (Ausreisegewahrsam)10keine Angabe 0nein
BremenPolizeipräsidium Bremen20keine Angabe 1nein
HamburgFlughafen (auch Ausreisegewahrsam)20keine Angabe unbek.nein
HessenDarmstadt-Eberstadt200800ehemalige JVA
 Frankfurt/M.-Flughafenca. 45keine Angabe unbek.nein
NiedersachsenHannover-Langenhagen (auch Ausreisegewahrsam)68keine Angabe unbek.nein
Nordrhein-WestfalenBüren1750 ca. 3-5ehemalige JVA
Rheinland-PfalzIngelheim40keine offizielle Angabe, faktisch bis 13 1nein
SachsenDresden (auch Ausreisegewahrsam)24 Abschiebungshaft; 34 Ausreisegewahrsamkeine Angabe 0nein
Sachsen-AnhaltSchkopau-Raßnitzinsg. 15 Plätze für Abschiebungshaftkeine Angabe unbek.aktuelle Jugendstrafanstalt
 U-Haft-Bereich der JVA Halle (Saale) keine Angabe unbek.aktuelle JVA
 U-Haft-Bereich der JVA Burg keine Angabe unbek.aktuelle JVA

Zwecks Übersichtlichkeit die oben stehende Tabelle als pdf zum Download


Hinweis zu dieser Statistik: Es gibt keine Stelle, die Zahlen zur Abschiebungshaft kontinuierlich und nach einheitlichen Kriterien erhebt. Die meisten vorstehenden Angaben stammen von Anwälten und Beratungsorganisationen und beziehen sich auf unterschiedliche Stichtage, so dass eine verlässliche Vergleichbarkeit nicht gegeben ist, sondern allenfalls grobe Tendenzen herausgelesen werden können. Besonders die tatsächlichen Belegungszahlen können sich außerdem von Tag zu Tag ändern.

Geplante weitere Abschiebungshafteinrichtungen

BundeslandOrtgeplante Kapazität (Plätze)
BayernHof (ab Ende 2020)80-150
Passau200
Sachsen-AnhaltDessau-Roßlau30
Schleswig-Holstein (mit Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern)Glückstadt60

Gesetzliche Regelungen über den Abschiebungshaftvollzug

BundeslandVorschriftFundstelle
Baden-WürttembergAbschiebungshaftvollzugsgesetz Baden-WürttembergGBl. 2015, S. 1187
BerlinGesetz über den Abschiebungsgewahrsam im Land Berlin Ordnung für den Abschiebungsgewahrsam im Land Berlin (Gewahrsamsordnung)GVBl. 1995, S. 657

ABl. 2018, S. 4934
BrandenburgAbschiebungshaftvollzugsgesetzGVBl. I 1996 S. 98
BremenGesetz über den Abschiebungsgewahrsam; dazu Erlass des Senators für Inneres über die Durchführung der Abschiebungshaft in Gewahrsamseinrichtungen des Polizeivollzugsdienstes (Gewahrsamsordnung) vom 6.6.2002, geändert durch Erlass vom 10.7.2008 – Az.: 124-71-51/010.Brem.GBl. 2001, 405
HamburgGesetz über den Vollzug der Abschiebungshaft (Hamburgisches Abschiebungshaftvollzugsgesetz)HmbGVBl. 2018, S. 85
HessenGesetz über den Vollzug ausländerrechtlicher FreiheitsentziehungsmaßnahmenGVBl. 2017 S. 474
Nordrhein-WestfalenAbschiebungshaftvollzugsgesetz NRW, geändert durch Gesetz vom 18.12.2018 geändert durch Gesetz vom 12.7.2019GV.NRW.2015, 901 GV.NRW.2018, 770 GV.NRW.2019, 365
SachsenGesetz zur Regelung des Vollzugs der Abschiebungshaft und des Ausreisegewahrsams im Freistaat Sachsen vom 28. Juni 2018SächsGVBl. 2018, S. 458
Schleswig-HolsteinAbschiebungshaftvollzugsgesetz Schleswig-HolsteinGVOBl. Schl.-H. 2019 S. 78

8. Juni 2020 / Stefan Keßler

Jesuiten-Flüchtlingsdienst Deutschland

Rechtswidrige Abschiebungshaft

Aktuelle Statistik zur rechtswidrigen Abschiebungshaft, oder: Der Wahnsinn geht weiter, immer weiter

von Rechtsanwalt Peter Fahlbusch

Wahrscheinlich kennen Sie Punxsutawney. Und täglich grüßt das Murmeltier. Ist eine US-amerikanische Filmkomödie aus dem Jahr 1993. Bill Murray spielt darin einen arroganten, egozentrischen und zynischen Wetteransager, der in einer Zeitschleife festsitzt und ein und denselben Tag immer wieder erlebt…

Genauso geht es mir mit meinen Abschiebungshaftverfahren. Zeitschleife. Hier die ganz aktuelle Abschiebungshaftstatistik, Stand 9.5.2020:

Seit 2001 habe ich bundesweit 1.982 MandantInnen in Abschiebungshaftverfahren vertreten.

982 dieser MandantInnen (dh 49,5 %) wurden nach den hier vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche „nur“ einen Tag, andere monatelang). Zusammengezählt kommen auf die 982 MandantInnen sechsundzwanzigtausendeinhundertundneun (in Zahlen 26.109!!!) rechtswidrige Hafttage, das sind rund 71 Jahre rechtswidrige Inhaftierungen. Im Durchschnitt befand sich jede/r Mandant/in knapp 4 Wochen (genau: 26,6 Tage) zu Unrecht in Haft. Rund 150 Verfahren laufen z.Zt. noch.

Meine Statistik ist repräsentativ. Interessanterweise sind die von mir erhobenen Zahlen seit Jahren fast gleich (d.h. immer rund 50 % der MandantInnen zu Unrecht und zwar im Durchschnitt immer knapp 4 Wochen rechtswidrig in Haft). Täglich grüßt das Murmeltier. Hier ist Punxsutawney.

Insgesamt ist der Befund ein Armutszeugnis. Ein Armutszeugnis für alle am Verfahren Beteiligten. Art. 104 GG, das Kronjuwel unserer Verfassung, scheint relativierbar: Für manche Menschen gilt er schlicht nicht. Und scheinbar macht das auch nichts. Die wenigsten kümmert`s. Weiter so wie immer, weiter, immer weiter…

Quelle: https://www.nds-fluerat.org/43645/aktuelles/rechtswidrige-abschiebungshaft-2/