Treffen der Knastgruppe jeden 4. Mittwoch im Monat

Was tun wir?

Menschen, die in Abschiebehaft sitzen, haben keine Straftat begangen. Ihnen wird nur kein Aufenthaltsrecht in Deutschland zugebilligt. Und somit ist der einzige Grund für die Haft, dass sie ausreisepflichtig, aber eventuell nicht ausreisewillig sind. Damit sie sich nicht ihrer Ausreise entziehen, wird ihnen die Freiheit entzogen. Der Staat steckt die Ungewollten in Gefängnisse, damit sie unsichtbar und rechtlos bleiben, bis sie wieder gänzlich dorthin zurück verfrachtet werden, wo ihr Schicksal gar nicht mehr sichtbar ist und mitunter ihre Leben elementar bedroht ist.  

Seit Oktober 2019 besuchen wir, die Gruppe Hannover solidarisch,  regelmäßig Menschen im Abschiebungsgefängnis  Langenhagen.  Wir kooperieren dabei mit dem Niedersächsischen Flüchtlingsrat, welcher die rechtliche Beratung der Gefangenen übernimmt. Wir verstehen diese Besuche als Teil praktischer Solidarität, auf politischer und persönlicher Ebene, und wollen die unhaltbaren Zustände in die Öffentlichkeit tragen! 

Unsere Besuche sollen dazu beitragen, gegen die Unsichtbarkeit anzugehen und den teils völlig isolierten Gefangenen etwas Würde zurückzugeben, indem wir ihnen auf Augenhöhe begegnen und ihnen damit zeigen, dass sie nicht vergessen sind. Außerdem versuchen wir den Gefangenen zu ihren nur noch wenigen Rechten zu verhelfen, Kontakte nach außen herzustellen oder Wünschen nach bestimmten Lebensmitteln, Handyguthaben und Spiele nachzukommen.

Bei regelmäßigen Treffen tauschen wir uns darüber aus, wie wir unsere gemeinsamen Ziele, Abschiebungsgefangene durch praktische Solidarität zu unterstützen sowie eine zivilgesellschaftliche Kontrolle für die Vorgänge in der totalen Institution Abschiebehaft aufzubauen, umsetzen können.

Wenn du mitmachen willst, schicke uns eine Mail:
solinet_hannover@riseup.net

Stoppt die brutale Migrations- und Abschiebepolitik – in Hannover-Langenhagen und überall

30. August 2023: Kundgebung und Demo anlässlich des bundesweiten Gedenktages für die Opfer von Abschiebungen und Abschiebehaft, Treffpunkt S-Bahn Hannover-Flughafen 17:30 Uhr

Beim Flüchtlingsgipfel zwischen Bund und Ländern wurden im April 2023 weitere Verschärfungen bei Abschiebungen und Abschiebehaft beschlossen – und vor allem eine Zustimmung der Bundesregierung zu den menschenrechtsfeindlichen Plänen auf europäischer Ebene. Hiernach sollen alle Geflüchteten gleich nach der Ankunft an den EU-Außengrenzen in „Aufnahmeeinrichtungen“ eingesperrt werden und somit die schutzsuchenden Menschen an der Einreise in die EU gehindert werden. Zugleich übt die Europäische Kommission Druck auf die Mitgliedsstaaten aus, verstärkt abzuschieben.

Die Aushöhlung der Genfer Flüchtlingskonvention mit Push-backs und Inhaftierungen an den EU-Außengrenzen, rechtsstaatlich fragwürdigen Schnellverfahren und Abschiebungen in Staaten, die nur auf dem Papier „sicher“ sind, dürfen wir nicht akzeptieren!

Während die Außengrenzen der EU weiter aufgerüstet werden und immer mehr Menschen auf der Suche nach Schutz an diesen Grenzen ihr Leben lassen, nehmen Abschiebungen bereits hier lebender Menschen zu und sollen weiter erhöht werden. Damit einhergehend wird auch die Abschiebehaft ausgeweitet – eine über hundert Jahre alte brutale und rassistische Praxis Deutschlands zur Inhaftierung unschuldiger Menschen. Beispielsweise ist am Flughafen BER ein neues großes „Ausreisezentrum“ in Planung. Auch der Flughafen Hannover-Langenhagen ist mit seinem Abschiebeknast und regelmäßigen Sammelabschiebungen Teil der menschenverachtenden Abschiebeoffensive. Afghanistan, Pakistan und Nigeria sind Länder, in die von Hannover aus in Elend und auch Tod abgeschoben wird.

Menschen sterben nach der Abschiebung, aber auch wegen bevorstehender Abschiebung und bei der Durchsetzung von Abschiebung. Jedes Jahr wird am 30. August an vier Todesopfer erinnert, die an diesem traurigen Datum in Zusammenhang mit ihrer Abschiebung starben:

  • 30. August 1983: Kemal Altun springt aus dem Fenster des Westberliner Verwaltungsgerichtes und erliegt seinen Verletzungen. Zu diesem Zeitpunkt ist er 23 Jahre alt und verbringt während eines Auslieferungsverfahrens in die Türkei 13 Monate in Auslieferungshaft.
  • 30. August 1994: Kola Bankole erstickt in einer Lufthansamaschine auf dem Weg nach Nigeria. Er wurde während der Abschiebung geknebelt, gefesselt und mit Psychopharmaka „ruhig gespritzt“.
  • 30. August 1999: Rachid Sbaai stirbt in einer Arrestzelle der JVA Büren, da die Matratze der Einzelhaftzelle in Brand geriet.
  • 30. August 2000: Antankou Dagwasoundel stürzt bei dem Versuch, sich aus dem Fenster seines überwachten Krankenhauszimmers abzuseilen und sich so der bevorstehenden Abschiebungshaft in Berlin-Köpenick zu entziehen, in den Tod.

Wir wollen den bundesweiten Gedenktag gegen Abschiebung zum Anlass nehmen, um am Flughafen Hannover-Langenhagen gegen die brutale Abschiebepolitik zu protestieren.
Schließt euch dem Aufruf an, seid dabei, mobilisiert zum Protest und Gedenken. 

Für eine solidarische Welt!

Erstunterzeicher:innen

Flüchtlingsrat Niedersachsen

Linksjugend [’solid] Hannover

Rote Hilfe e.V. OG Hannover

Seebrücke Hannover

SJD – Die Falken Hannover

Solinet Hannover

Weitere Unterzeichner:innen

kargah e.V. – Verein für interkulturelle Kommunikation, Flüchtlings- und Migrationsarbeit

MVI Hannover (Medical Volunteers International)

No Lager Osnabrück

Refugee Law Clinic Hannover e.V.

Grüne Jugend Hannover

Treffen der Knastgruppe jeden 3. Mittwoch im Monat

Was tun wir?

Menschen, die in Abschiebehaft sitzen, haben keine Straftat begangen. Ihnen wird nur kein Aufenthaltsrecht in Deutschland zugebilligt. Und somit ist der einzige Grund für die Haft, dass sie ausreisepflichtig, aber eventuell nicht ausreisewillig sind. Damit sie sich nicht ihrer Ausreise entziehen, wird ihnen die Freiheit entzogen. Der Staat steckt die Ungewollten in Gefängnisse, damit sie unsichtbar und rechtlos bleiben, bis sie wieder gänzlich dorthin zurück verfrachtet werden, wo ihr Schicksal gar nicht mehr sichtbar ist und mitunter ihre Leben elementar bedroht ist.  

Seit Oktober 2019 besuchen wir, die Gruppe Hannover solidarisch,  regelmäßig Menschen im Abschiebungsgefängnis  Langenhagen.  Wir kooperieren dabei mit dem Niedersächsischen Flüchtlingsrat, welcher die rechtliche Beratung der Gefangenen übernimmt. Wir verstehen diese Besuche als Teil praktischer Solidarität, auf politischer und persönlicher Ebene, und wollen die unhaltbaren Zustände in die Öffentlichkeit tragen! 

Unsere Besuche sollen dazu beitragen, gegen die Unsichtbarkeit anzugehen und den teils völlig isolierten Gefangenen etwas Würde zurückzugeben, indem wir ihnen auf Augenhöhe begegnen und ihnen damit zeigen, dass sie nicht vergessen sind. Außerdem versuchen wir den Gefangenen zu ihren nur noch wenigen Rechten zu verhelfen, Kontakte nach außen herzustellen oder Wünschen nach bestimmten Lebensmitteln, Handyguthaben und Spiele nachzukommen.

Bei regelmäßigen Treffen tauschen wir uns darüber aus, wie wir unsere gemeinsamen Ziele, Abschiebungsgefangene durch praktische Solidarität zu unterstützen sowie eine zivilgesellschaftliche Kontrolle für die Vorgänge in der totalen Institution Abschiebehaft aufzubauen, umsetzen können.

Wenn du mitmachen willst, schicke uns eine Mail: solinet_hannover@riseup.net

28. Januar 2023: Workshop Erste Hilfe bei Abschiebehaft

In Deutschland werden täglich Menschen entrechtet und in Abschiebeknäste gesteckt. Im europäischen Grenz- und Abschieberegime manifestiert sich dabei eine globale rassistische Klassenordnung, die wir überwinden müssen!

Abschiebehaftverfahren finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit und häufig in einem Klüngel zwischen Ausländerbehörde, Richter:innen und Polizei statt. Die Betroffenen dagegen sind der Situation meist allein ausgeliefert und nach der gewaltsamen Festnahme häufig in einem Schockzustand. Eine Pflichtverteidigung gibt es nicht.

Wir, die Knastgruppe der Initiative Hannover solidarisch, besuchen seit 2019 Menschen im Abschiebeknast Langenhagen, um inhaftierte Menschen solidarisch zu unterstützen. Die Möglichkeiten dazu sind jedoch gering, wenn Leute bereits in Haft sind.

Wir wollen daher versuchen, Menschen auch vor der Haftrichter:in solidarisch beizustehen und wenn möglich zu verhindern, dass sie überhaupt in Haft kommen. Dazu wollen wir uns Kompetenzen im Bereich der Abschiebehaftverfahren aneignen.

Im Workshop wird uns Frank Gockel vom Verein zur Unterstützung von Menschen in Abschiebehaft e.V. aus seiner jahrzehntelangen Praxis berichten. Dazu gehört u.a. die Möglichkeit der Benennung als „Personen des Vertrauens“, die vor der Haftrichter:in als prozessbeteiligt gilt und somit anwesend sein darf.

Wir wollen darüber sprechen, wie wir erfahren, dass jemand in Abschiebehaft genommen werden soll, wie wir es schaffen können, bei der Haftrichter:in dabei zu sein, und was dort relevant ist.

Wir machen uns dabei nicht die Illusion, dass wir es mit der professionalisierten Abschiebemaschinerie vor Gericht aufnehmen oder Anwält:innen ersetzen können. Wir wollen uns jedoch trotzdem weiterbilden, austauschen und vernetzen, um gemeinsam unsere Möglichkeiten zu reflektieren.

Der Workshop richtet sich an alle Menschen, die von Abschiebehaft betroffen sein könnten, mit diesen in Kontakt sind und/oder gegen Abschiebehaft aktiv sein wollen.

Der Workshop ist kostenfrei.

Anmeldung unter: solinet_hannover@riseup.net.

Wann? 28.01.2023 / 12:00-18:00

Wo? Pavillion Hannover (Raum 1)

Eine Veranstaltung von Solinet Hannover in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg Stiftung Niedersachsen

Aktiv werden gegen Abschiebungen aus Hannover

Veranstaltungsreihe

Das Netzwerk gegen Abschiebung Hannover informiert in drei Veranstaltungen, wie man in Hannover gegen Abschiebungen aktiv werden kann.

Termine:
Di., 04.10.22, 19.00 Uhr
Kämpfe gegen Abschiebungen – ein historischer Rückblick

Di., 11.10.22, 19.00 Uhr
Abschiebehaft und praktische Solidarität mit den Gefangenen in Langenhagen

Di., 18.10.22, 19.00 Uhr
Abschiebungen aus Hannover und über den Flughafen Hannover-Langenhagen – Gemeinsam aktiv werden!

Di., 25.10.22, 19.00 Uhr
Möglichkeiten aktiv zu werden. Interessierte sind herzlich eingeladen, sich zu informieren, in welchen Gruppen und wie sie aktiv werden können.

Ort/weitere Infos: Kulturzentrum Pavillon, Lister Meile 4, Hannover

EU-Freizügigkeit nur mit Arbeitszwang

Vor 2 Wochen wurde B abgeschoben. Zuvor lebte sie als Arbeitsmigrantin aus einem benachbarten EU-Land ca. 12 Jahre in Deutschland.Vor ihrer Abschiebung war B 3 Wochen im Abschiebeknast in Langenhagen inhaftiert, zu diesem Zeitpunkt als einzige FLINTA* Person dort; daher bedeutete das quasi „Einzelhaft“. Ihr einziges „Verbrechen“: Der Bezug von Sozialleistungen.

Das ist die Realität von EU-Arbeitsmigrant*innen in Deutschland: für sie gilt „Freizügigkeit“, so lange sie in oft prekären Ausbeutungsverhältnissen die Drecksarbeit erledigen. Wenn sie das Pech haben, ihrer Arbeit nicht mehr nachgehen zu können, werden sie verhaftet, eingesperrt und abgeschoben. Denn der deutsche Staat duldet keine Zuwanderung in seine Sozialsysteme, braucht aber Arbeitskräfte, die leicht ausgebeutet werden können. Was den Menschenfeinden von SPD und CDU dazu so einfällt, ist hier zu finden: https://www.zdf.de/politik/frontal/wohnungslose-eu-arbeitsmigranten-in-deutschland-100.html

B selbst war unklar, wieso sie eingesperrt wurde – sie beteuerte unter Tränen, immer alles gemacht zu haben, was die Ausländerbehörde verlangt habe.

Wieso können deutsche Ausländerbehörden nicht dafür sorgen, dass betroffene Menschen wenigstens verstehen, was über sie verfügt wird, indem sie Übersetzer*innen beschäftigen?

Und wieso ist so eine lange Inhaftierung nötig für eine #Abschiebung in ein Land, das nur wenige Autostunden von Hannover entfernt ist? Zumal B – wie alle abgeschobene Menschen – die Kosten ihrer #Abschiebehaft und ihrer Abschiebung selbst tragen muss! Durch die unnötig lange Abschiebehaft wird somit eine erneute Arbeitsmigration von B in naher Zukunft unmöglich, da der deutsche Staat sie erstmal zu Kasse bitten würde!

Aber so etwas wie eine faire Abschiebung gibt es natürlich nicht – jede Abschiebung ist ein Verbrechen! Trotzdem könnte man wenigstens erwarten, dass Menschen nicht unnötig gequält werden, bevor sie abgeschoben werden.

Diese unmenschlichen Zustände müssen aufhören! Wir fordern ein Ende des Abschieberegimes, ein bedingungsloses Bleiberecht für alle und die Schließung aller Abschiebeknäste!

No Border, No Nation – Stop Deportation!

In Deutschland geboren – Aus Deutschland abgeschoben

Letzte Woche wurde M aus Deutschland abgeschoben. M ist in Deutschland geboren, war noch nie in dem Land, aus dem seine Eltern einst geflohen sind und in das er nun durch die Abschiebung verschleppt wurde, spricht die Landessprache nur teilweise und hat dort kein verlässliches soziales Netz. Das Land befindet sich zudem in einer schweren Wirtschaftskrise und hat eine unsichere politische Situation. Es ist zu befürchten, dass M dort wenig Chancen hat, sich ein neues, sicheres Leben aufzubauen.

Vor seiner Abschiebung saß M sechs Wochen lang in Abschiebungshaft. Diese Freiheitsberaubung basierte auf der bloßen Vermutung, dass er sich sonst seiner Abschiebung entziehen könnte, in der Realität gab es dafür jedoch keine Anhaltspunkte. M erzählte außerdem, dass er über die letzten Jahre von der zuständigen Ausländerbehörde systematisch drangsaliert wurde. So musste er z.B. jeden Monat seine Duldung verlängern lassen und auch sein Arbeitgeber musste monatlich Papiere für die Ausländerbehörde ausfüllen. Wegen des hohen Aufwandes und ständigen Stresses verlor M dadurch seine Arbeitsstelle und später auch seine Wohnung.

M’s Chancen, in den nächsten Jahren wieder nach Deutschland einzureisen, sind sehr schlecht. Und selbst wenn es ihm irgendwie gelingen sollte wurden ihm durch die Abschiebung Jahre seines Lebens gestohlen und seine Existenz hier vernichtet.

Indes ist sicher, dass solche Situationen kein Einzelfall sind. Menschen werden beim Spazierengehen festgenommen, nachts in ihren Wohnungen überfallen oder unter falschem Vorwand auf die Ausländerbehörde gelockt und dort verhaftet, um sie abzuschieben. Dabei wird auch vor Kindern, behinderten, traumatisierten, kranken oder verfolgten Menschen nicht halt gemacht.

Diese Details zeigen, wie gnadenlos das deutsche Abschieberegime gegen Menschen losschlägt, die aufgrund eines tief in der Gesellschaft verwurzelten Rassismus als nicht zugehörig und nicht berechtigt, in Deutschland leben zu dürfen, angesehen werden. Solche Beispiele machen die skandalösen Zustände aber nur besonders deutlich – natürlich sind alle Abschiebungen unabhängig von Geburtsort und Herkunft, unabhängig von der Lebenssituation der abgeschobenen Person und unabhängig von ihrer „Verwertbarkeit“ für die deutsche Wirtschaft ein nicht zu tolerierender Eingriff in die Selbstbestimmung von Menschen, bei der Verelendung, Krankheit und Tod bewusst in Kauf genommen werden – ein vom Staat durchgeführtes und legitimiertes Verbrechen!

Wir fordern daher ein bedingungsloses Bleiberecht für Alle, einen sofortigen Stopp aller Abschiebungen und die Schließung aller Abschiebeknäste!

#StopDeportation
#BleiberechtFürAlle

Flüchtlingsrat fordert umfassende Nachbesserung des Gesetzentwurfs zur Abschiebungshaft

Anlässlich der heutigen Sachverständigenanhörung zum Entwurf eines Niedersächsischen Abschiebehaftvollzugsgesetzes im Ausschusses für Inneres und Sport des Landtages fordert der Flüchtlingsrat erneut umfassende Nachbesserungen des Gesetzentwurfs und eine grundlegende Änderung der niedersächsischen Vollzugspraxis, da sie den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs offenkundig widerspricht.

Muzaffer Öztürkyilmaz, Referent beim Flüchtlingsrat Niedersachsen

„Das Abschiebungshaftgefängnis in Langenhagen wurde in der Vergangenheit unter anderem als Untersuchungshaftanstalt genutzt. Das Gelände ist von ca. acht Meter hohen Stahlzäunen umschlossen, auf denen Nato-Stacheldraht befestigt ist. Auch auf dem Gelände selbst stehen verschlossene Stahlzäune, die unterschiedliche Bereiche voneinander abgrenzen. Die Fenster im Gebäude sind vergittert. Die Rechte der Gefangenen bestimmen sich nach dem Strafvollzugsgesetz. Sie dürfen sich in der Regel nur auf dem eigenen Stockwerk aufhalten und werden ab dem frühen Abend in ihren Haftzellen eingeschlossen. Der Besitz von Smartphones oder Laptops ist Ihnen verboten. Ihre Besuche werden überwacht. Hinzu kommt, dass suizidale Gefangenen schlicht gefesselt und dadurch ruhig gestellt werden sollen. All dies ist mit den jüngsten Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs nicht vereinbar.“

In seinem Urteil vom 10, März 2022 (Az.: C-519/20) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) unter anderem ausgeführt, welche Voraussetzungen eine Hafteinrichtung erfüllen muss, damit sie als »spezielle Abschiebungshaftanstalt« qualifiziert werden kann – siehe auch unsere Pressemitteilung vom 10. März 2022. Nach Auffassung der Richter:innen am EuGH müsse es soweit wie möglich vermieden werden, dass die Unterbringung einer Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung gleichkomme, wie sie für eine Strafhaft kennzeichnend sei. Zudem weist der EuGH darauf hin, dass der »Umstand, dass die nationalen Regelungen über die Strafvollstreckung (…) auf die Unterbringung von Drittstaatsangehörigen in Abschiebehaft anzuwenden sind, ein gewichtiges Indiz dafür darstellen, dass eine solche Unterbringung nicht in einer speziellen Hafteinrichtung im Sinne von Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie« stattfinde.

Der Flüchtlingsrat Niedersachsen hat den Entwurf eines niedersächsischen Abschiebungshaftvollzugsgesetzes bereits im Rahmen der Verbandsanhörung ausführlich kommentiert und eingehende Änderungsvorschläge gemacht. Weder die Stellungnahme des Flüchtlingsrats noch die anderer NGOs und Wohlfahrtsverbände hat unter dem Strich Beachtung gefunden – siehe auch unsere Pressemitteilung vom 31. Januar 2022. Der Flüchtlingsrat ist zur heutigen Anhörung im Ausschusses für Inneres und Sport des Landtages zum Entwurf eines Niedersächsischen Abschiebehaftvollzugsgesetzes als Sachverständiger geladen.

(Quelle: Pressemitteilung vom Flüchtlingsrat Niedersachsen vom 17. März 2022)

Wichtiges EuGH-Urteil – auch für Niedersachsen: Flüchtlinge, die abgeschoben werden sollen, dürfen nicht gemeinsam mit Straftätern inhaftiert werden

PRO ASYL, der Flüchtlingsrat Niedersachsen und Rechtsanwalt Peter Fahlbusch begrüßen, dass der Europäische Gerichtshof in seinem heutigen Urteil erstmalig Leitplanken vorgegeben hat für die Unterbringung von Menschen, die abgeschoben werden sollen. Die Bundesregierung muss Konsequenzen ziehen. Die Bundesländer sind gefordert, ihre Haftanstalten zu überprüfen und zum Teil umzubauen.

Die Luxemburger Richter sind heute zu dem Ergebnis gelangt, dass bei der Inhaftierung von Menschen zum Zwecke der Abschiebung Mindeststandards zu beachten sind. So dürfen Abschiebehäftlinge nicht in Gefängnis-ähnlichen Einrichtungen untergebracht werden. Sollten sie aufgrund mangelnder Kapazitäten in eine Haftanstalt eingesperrt werden, auf deren Gelände sich auch Strafgefangene befinden, so muss vorab vom Haftrichter überprüft werden, ob tatsächlich eine unvorhersehbare Notlage vorliegt, die das nötig macht. Anders als von der Bundesregierung vor drei Jahren mit dem „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“ beschlossen, ist dies vorab zu prüfen. Der EuGH macht nun klar: Deutschland darf nicht pauschal eine Notlage verkünden und Abschiebehäftlinge deshalb mit Straftätern zusammen einsperren. Entgegen der Auffassung der Bundesregierung gibt es hier also keinen justizfreien Raum!

Rechtsanwalt Peter Fahlbusch von der Kanzlei LSFW in Hannover, der das Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof führt, PRO ASYL und der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordern die Bundesregierung auf, dafür zu sorgen, dass § 62a Absatz 1 des Aufenthaltsgesetz nun infolge des Urteils entsprechend geändert wird. Die im Sommer 2019 eingeführte Regelung, die es erlaubt, Abschiebungsgefangene bis 30. Juni 2022 zusammen mit Strafgefangenen in ein- und derselben Einrichtung unterzubringen, muss nach der heutigen Entscheidung unverzüglich ausgesetzt werden.

Geflüchtete, die keine kriminelle Tat begangen haben, dürfen nicht hinter meterhohen Gefängnismauern verschwinden

Im konkreten Fall, über den der EuGH entschied, hatte sich ein Mann aus Pakistan gegen den Abschiebungshaft angeordnet worden war, mit einer Beschwerde gegen seine mehrere Wochen dauernde Unterbringung in der Haftanstalt Hannover an das dortige Amtsgericht gewandt. Er war in einem Gefängnis untergebracht, das zwar für Abschiebehäftlinge vorgesehen war, in dem aber im fraglichen Zeitpunkt auch Strafgefangene waren. In diesem Fall spielt der EuGH den Ball an die Bundesrepublik zurück. Aber: „Das Urteil ist ein Appell an die Landesregierungen, sich bestehende Hafteinrichtungen genau anzusehen und diese gegebenenfalls umzubauen“, sagt Rechtsanwalt Fahlbusch. Peter von Auer, rechtspolitischer Referent bei PRO ASYL, kommentiert: „Haftanstalten wie die im bayerischen Hof oder in Glücksstadt in Schleswig-Holstein sind von meterhohen, stacheldraht-bewehrten Mauern umgeben und haben damit eindeutig den Charakter eines Gefängnisses. Der EuGH hat klar gemacht, dass Abschiebehäftlinge dort nicht eingesperrt werden dürfen. Denn es geht hier um Personen, die sich nichts haben zu Schulden kommen lassen, sondern lediglich ausreisepflichtig sind. Diese Menschen sind keine Kriminellen und sollten auch nicht so behandelt werden.“

Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat Niedersachsen ergänzt: „Zudem müssen jetzt alle Bundesländer eigene Gesetze erlassen, die die Rechte der Abschiebehäftlinge regeln und sich klar unterscheiden von denen zum Strafvollzug. Auch das Land Niedersachsen darf nicht so weiter machen wie bisher. Ohne eine solche Regelung ist eine Inhaftierung rechtswidrig.“ Das trifft insbesondere auch auf Bayern zu, das in der Abschiebepolitik besonders restriktiv vorgeht.

Anwalt: Die Hälfte aller Menschen in Abschiebehaft zu Unrecht inhaftiert

Rechtsanwalt Fahlbusch weist darauf hin, dass weitergehende Veränderungen nötig sind. „Die gegenwärtige Praxis, Betroffene ohne anwaltliche Unterstützung teilweise monatelang einzusperren, nur um sie von A nach B zu verbringen, ist eines Rechtsstaats unwürdig und muss dringend geändert werden.“ Nicht alles, aber vieles würde besser, wenn die Gefangenen vom Tag der Festnahme an einen Pflichtanwalt zur Seite gestellt bekämen. Die Ampel-Koalition hat sich vorgenommen, Kinder und Jugendliche nicht mehr in Abschiebungshaft zu nehmen. Das heutige Urteil macht erneut deutlich, dass das nicht ausreicht.

Seit 2001 hat Rechtsanwalt Fahlbusch bundesweit 2.215 Menschen in Abschiebungshaftverfahren vertreten. Er stellt regelmäßig eigene Berechnungen auf, weil es keine offiziellen Zahlen gibt. In den Fällen des Anwalts wurden 1.164 dieser Menschen (das heißt 52,6 %) laut den vorliegenden rechtskräftigen Entscheidungen rechtswidrig inhaftiert (manche „nur“ einen Tag, andere monatelang). Zusammengezählt kommen auf die 1.164 Gefangenen 30.507 rechtswidrige Hafttage, das sind gut 83 Jahre rechtswidrige Haft (Stand: 8.3.2022). „Im Durchschnitt befand sich jeder Mandant knapp vier Wochen zu Unrecht in Haft. Das ist ein handfester Skandal, der uns alle nachdenklich machen sollte“, sagt Fahlbusch, der bis auf Weiteres ein sofortiges Haftmoratorium fordert.

Hintergrund

In Abschiebungshaft kommt nur jemand, der ausreisepflichtig ist und bei dem die Sorge einer Fluchtgefahr besteht. Das bietet viel Interpretationsspielraum. Ob Fluchtgefahr vermutet wird oder nicht, ist sehr subjektiv und hängt auch mit den persönlichen und politischen Einstellungen derjenigen Mitarbeiter*innen in der Ausländerbehörde oder im Regierungspräsidium zusammen, die das entscheiden. Obwohl nur Menschen in Abschiebungshaft festgehalten werden dürfen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie untertauchen, landen auch Alte, Kranke, Schwangere oder Mütter mit Kleinkindern in Abschiebegefängnissen.

Das Vorabentscheidungsverfahren dient dazu, es nationalen Gerichten zu ermöglichen, dem EuGH Fragen bezüglich der Auslegung und Gültigkeit von Europarecht vorzulegen. Das vorlegende Gericht und alle folgenden Instanzen sind an die Entscheidung des EuGH gebunden.

PRO ASYL hat das Gerichtsverfahren über seinen Rechtshilfefonds unterstützt. Zum Hintergrund siehe hier; ein Interview mit RA Fahlbusch zur Abschiebehaft lesen Sie hier.

(Quelle: Pressemitteilung des Flüchtlingsrats Niedersachsen vom 10. März 2022)