Offener Brief der Initiative Solinet Hannover

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Belit Onay,


wir möchten Ihnen in diesem offenen Brief unsere Erfahrungen und Eindrücke in Bezug auf die derzeitige Bearbeitungspraxis der Ausländerbehörde schildern und bitten Sie, umgehend Maßnahmen zu ergreifen. Die Erreichbarkeit der Ausländerbehörde muss verbessert sowie das Verfahren für die Wartenden vor der Ausländerbehörde geändert werden, um einen menschenwürdigen Umgang dort sicherzustellen und eine zuverlässige Bearbeitung der Anliegen zu gewährleisten. Wir schildern Ihnen Erfahrungen von Geflüchteten und Migrantinnen sowie Erlebnisse von Unterstützerinnen, die Menschen zur Ausländerbehörde begleitet und sich vor Ort selbst ein Bild von der Lage gemacht haben.


Auf der Homepage der Ausländerbehörde steht: „Aufgrund der Corona-Pandemie und geltender Schutzvorschriften können wir derzeit leider nur für eine begrenzte Anzahl von Kundinnen öffnen. Derzeit können Sie montags, dienstags und mittwochs ab 8 Uhr bedient werden, donnerstags ab 13 Uhr. Bitte beachten Sie, dass es aufgrund der äußerst hohen Nachfrage und der geltenden Beschränkungen möglich ist, dass Sie nicht in die verfügbare Tageskapazität fallen. Wir arbeiten mit Hochdruck an einer Ausweitung der Kapazitäten“. Weiter heißt es, dass Termine per Telefon oder per Mail vergeben werden. Tatsächlich jedoch ist die Ausländerbehörde seit geraumer Zeit telefonisch so gut wie nicht zu erreichen. Viele versuchen vergeblich, per E-Mail Kontakt und Termine zu bekommen.

Auch Beratungsstellen bestätigen die schlechte Erreichbarkeit der Behörde und die Folgen für die Betroffenen. Beispielsweise würden Leistungen eingestellt, Arbeitserlaubnisse nicht erteilt, es komme zu Schwierigkeiten beim Jobcenter, mit der Krankenversicherung, Mietangelegenheiten, etc.

Die Ausländerbehörde behält sich eine Bearbeitungszeit von zwei Wochen für eingehende E-Mails vor und bittet, innerhalb dieser Zeit von Rückfragen abzusehen. Dennoch erfolgt eine Rückmeldung oftmals erst nach mehr als zwei Wochen. Einige Anliegen bedürfen allerdings einer dringenden Klärung, gerade wenn es um existenzielle Fragen geht. Durch den Bearbeitungsstau in der Ausländerbehörde und die Unerreichbarkeit geraten Geflüchtete und Migrantinnen immer wieder in Notlagen und können irreversible Nachteile erfahren.

Schlange vor der Ausländerbehörde Mitte September


Pro Tag werden ca. 70 schwarze und ca. 30 grüne Wartenummern für Kundinnen mit „Spontananliegen“ vergeben. Um eine solche Nummer zu erhalten, müssen sich die Betroffenen morgens bereits um 05:00 Uhr vor der Ausländerbehörde einfinden, wobei die Nummern erst zwischen 07:30 Uhr und 08:00 Uhr ausgegeben werden.

Ein Betroffener bspw. hat zunächst um 06:00 Uhr versucht, eine dieser Nummern zu bekommen – ohne Erfolg. Am nächsten Morgen versuchte er es um 04:00 Uhr und musste sich da bereits in eine Schlange von 80 Menschen einreihen, darunter Familien, Alleinerziehende mit ihren (Kleinst-) Kindern und Schwangere. Sie alle befürchten, andernfalls keinen Termin für den Tag mehr bekommen. Hinzu kommt, dass es um diese Uhrzeit kalt ist und es weder Sitzgelegenheiten noch Sanitäranlagen gibt.

Rechtzeitig einen Termin zu bekommen, ist existenziell. Wenn Aufenthaltspapiere ablaufen, erhalten die Betroffenen keine Sozialleistungen mehr. Deshalb haben sie Angst, ihre Miete nicht zahlen und sich nicht mehr versorgen zu können. Auch die Arbeitserlaubnisse und Krankenversicherungen hängen an gültigen Papieren. Ein junger Mann mit in Deutschland abgeschlossenem Studium hatte mehrere Bewerbungsgespräche. Doch da es ihm nicht rechtzeitig möglich war, einen Termin für eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, konnte er keine Stelle antreten. So wie ihm geht es auch zahlreichen anderen Menschen, die aufgrund der noch fehlenden Arbeitserlaubnis Praktika, Arbeits- oder Ausbildungsstellen nicht antreten können, da sie keinen Termin erhalten, um eine Arbeitserlaubnis beantragen zu können oder ihre Aufenthaltspapiere zu verlängern. Arbeitgeberinnen können Arbeitsplätze in der Regel nicht lange freihalten.


Selbst wenn es die Möglichkeit gibt, Anträge, wie den auf Erteilung einer neuen Arbeitserlaubnis, schriftlich zu stellen, ist das den Betroffenen oft nicht bewusst. Neben dem Wissen um die Abläufe fehlen ihnen zudem oftmals die notwendigen Mittel. Ohne Computer, ohne Drucker und ohne Unterstützung fühlen sich viele Betroffene stark verunsichert, wenn nicht gar handlungsunfähig. Sie brauchen den direkten Kontakt zu den Behörden, um ihre Anliegen klären und Unsicherheiten abbauen zu können. Viele Menschen benötigen die entsprechenden Formulare einschließlich deren Erläuterung sowie Unterstützung beim Ausfüllen und eine individuelle Rückmeldung über die voraussichtliche Dauer der Bearbeitungszeit.


Die Menschen, die draußen stundenlang für einen Termin/eine Nummer und weiter für den Einlass anstehen müssen, sind zermürbt und oft verzweifelt. Viele sind unseres Erachtens keine „Kundinnen mit Spontananliegen“, sondern warten gezwungenermaßen dort, weil sie keine andere Möglichkeit haben.

Darüber hinaus ist es inakzeptabel, wenn die wartenden Kundinnen aufgrund der personellen Engpässe vom Security-Dienst koordiniert werden. Dieser ist nicht dafür ausgebildet.


Die Bearbeitung der Anliegen muss zügig erfolgen, die Behörde muss erreichbar sein und die Erreichbarkeit verständlich in den benötigten Sprachen kommuniziert werden!